Brasilien, oh du mein Brasilien

Brasilien, oh du mein Brasilien, sinto muita saudadschi di vossee, ich vermisse dich so sehr, seu calor - deine wärme, sua paischau por a vida- deine leidenschaft fürs Leben, suas praias lindas -deine wunderschönen Strande ,e seu povo carinjoso - und dein so zärtlich liebevolles Volk, dass einen fremden wie kein anderes sofort aufnimmt und ins Herz schliesst, als würde er immer schon dazu gehören.

Ich vermisse deine leichtigkeit des Seins abends draussen an einer choperia, einer Bar mit bevorzugten Bierausschank zu sitzen, den weichen Klängen deiner 'musica popular' zuzuhören und mit deinen geselligen Menschen mich über die Beziehung zwischen Mann und Frau zu unterhalten , die auch in deiner tropischen Hitze immer komplexer und komplizierter zu werden scheint(die Postmoderne schleicht sich auch in deine bisher so patriachalischen gefilden ein - wo ist der Mann heute noch davor sicher) oder aber wir reden und schwärmen oder schimpfen einfach nur über dich und deinem unüberwindbar erscheinenden Riesenloch, diesen Krebs, dieses bis ins All stinkende Geschwür, so gross wie ein ozean und so tief wie die Hölle, welches durch dein Volk geht und dass du dir im Laufe deiner kurzen 500jährigen Geschichte zugelegt hast und dann träumen wir davon dass dieses Loch eines Tages geschlossen und deine Schizophrenie geheilt sein könnte. Dieses Loch in dem sich die beiden Gestalten deiner schizophrenen Seele - die von Armut und Gewalt zerfressende Misere und die ignorante und selbstliebende Dekadenz - gegenüber sitzen ohne sich wirklich in die Augen schauen zu können. Wenn sie Notiz voneinander nehmen, dann geschieht es meist in krankhafter wahnsinniger Aggression in der jeder Funke von menschlicher Nächstenliebe verschwunden ist.

Ronny Diehl, 2004

 

 

 Streifzüge durch sao Paulo und rio

 warm ist es hier trotz der winterlichen jahreszeit. heute regnet es wie aus eimern schon den ganzen tag und es nimmt kein ende. die strassen verwandeln sich in riesige wasserbecken und die rinnsaele in kleine baeche.

gestern schon wusste mein hausherr, ein eingefleischter surfer, dessen haus paradiesisch direkt am strand gebaut ist, dass der wind der sich am mittag vom sueden her immer staerker abzeichnete, fuer uns surfer nichts ‘gutes’ mitbringen wuerde. der perfekte ‘swell’ in denen sich die locals gestern noch zu aberdutzenden tummelten war im nu futsch – heute ist es nur noch ein einziger brausender wellenschaum, voellig untauglich zum surfen. die zeit scheint nun fuer einen augenblick still zu stehen – in brasilien spielt sich das leben immer nur draussen ab und zumal hier in saquarema sich alles ums surfen dreht...

 

schmutzig, laut, einen an die nervlichen grenzen bringend ist Sao Paulo gewesen, meine erste station meiner reise. die stadt ist so gross, dass man sich wie ein winziges wuermchen vorkommt und einen das gefuehl bekriecht man koennte verschlungen werden von dem grossen urbanen monster. ins unendliche erstrecken sich die asphaltierten und mit hochhauesern uebersaeten stadtviertel, hier bairros genannt. die alten gemuetlichen wohnhaueser verschwinden immer mehr aus dem stadtbild und weichen den hohen zum teil wunderbar ansehnlichen wohnhochhaeusern – jeder deutsche architekt haette hier seine wahre freude. ich wanderte viel durch diese stadt, die ich glaubte schon zu kennen und entdeckte dabei die freude ueber die vielseitigkeit des urbanen lebens. schoen war es zu beobachten wie zur mittagspause die armeen von angestellten aus den buerotuermen die Avenida Paulista ueberstroemten und sich mit der masse von kurierfahrern, studenten, verkaeufern, kleinverdienern, bettlern und was sonst noch so auf der beruemtesten geschaeftsmeile brasiliens umherirrt vermischten: teure anzuege, eigentlich zu warm fuer diese temperaturen, trotzdem mit stolz und mancherlei hochmut getragen, aufgedunsene plastische gesichtszuege, sich der dekadenz hingebend,  ins leere blickende augen, tiefe augenringe, verraten die grosse buerde dem manchem das leben abverlangt, die sachen zerknittert und lang getragen; auf einem rollstuhl sitz vor einer der letzten verbliebenen villen der zeit der kaffeebarone, die dem verfall preisgegeben ist, ein kleiner dunkelhaeutiger mann mit runden gesichtszuegen, seinen von contagan verstuemmelten koerper traegt er mit wuerde und humor, an seinen fuessen baumeln in verkehrter richtung ein paar chucks, sie scheinen noch recht neu zu sein, seit 21 jahren sitz er hier schon jeden tag, sagt er mir und nimmt mit einem beschwingten laecheln meine kleine spende mit seinen kuemmerlichen arm entgegen, ob er denn nicht das spiel sehen will (Brasilien gegen Argentinien) welches in wenigen minuten beginnt, da zeigt er mir sein kleines rad(inh)io und dem gott fussball bleiben seine glaeubigen also doch noch treu, ein wohl verleibtes paar kuesst sich gerade leidenschaftlich an einer mauer stuetzend, mit ihren handys redende frauen, sonnenbrille, kleidung und frisur verraten die hoehere stellung, ihr wesen strahlt erotik und langeweile zugleich aus, eine gruppe jungerer anzugtraeger, in deren gesichtern  die tausendfaltigkeit der brasilianischen Rassenmischungen abzeichnend, sie strahlen unbeschwertheit aus und reden miteinander unenwegt, dabei gestikulierend – ueberhaupt reden die menschen hier miteinander viel und in ueberschwang, die haende und finger dabei einsetzend, die gesichtszuege wie ein schauspieler und clown theatralisch einsetzend, sich dabei immer in die augen schauend.

ein paar tage spaeter dann in niteroi, einer stadt gegenueberliegend in der bucht von rio, fuehle ich dann wieder die anziehungskraft des ‘tropischen paradieses’, welches einem im hochgelegen etwas kuehleren und immer sehr geschaeftig europaeischen sao paulo verborgen bleibt. hier sieht und riecht man den ‘mato’, den wald der sich ueber alle huegelketten der stadt erstreckt und in denen sich die Drogenbanden immer mehr zurueckziehen. dieses gruen strahlt eine geborgenheit aus die es einem tausendfach vereinfacht das urbane leben in einer so grossen stadt auszuhalten, die sandweissen straende, gesaeumt von hohen felsen tun ihr uebriges. ueberall kann man das meer riechen, und wohnt man hoch ueber der stadt in eine der hochhaeuser, hat man das glueck diesen wahrhaft sagenhaften ort jeden tag zu geniessen. der vater meines freundes luciano wohnt an einem solchen ort. wir fuhren ihn besuchen. er wohnte inmitten einer favela auf dem huegel im 4 stockwerk.  er , mitte fuenfzig,  mit einer zwanzig jahre jungeren ‘morena’ (dunkelhaeutige, indianische und afrobrasilianische einfluesse zugleich ausstrahlend) verheiratet, verueckt in seiner animalisch wirkenden positiven art, unenwegt ohne pause redend, wild gestikulierend  und unterhaltend, das lebende beispiel von  jemanden, fuer den einzig die ‘vita activa’ zaehlt, arrangierte es das wir aufs dach konnten   und von da den fantastischen ausblick ueber die gesamte guanabarabucht geniessen konnten. die hohen felsen, einige von denen weltberuehmt, das gruen des mato, das blau des meers und das weiss der haeuser und straende – alles zusammen wirkt berauschend fuer die seele, man waehnt sich erleichtert, das bewusstsein wird durchtraenkt von sinnlicher freude, man fuehlt dass es da einen geben muss, der gerne bildhauer und maler zugleich ist und mit diesem ort seine schoenste skulptur, sein schoenstes bild vollendet hat.

am abend fuhren wir alle Luciano, sein vater Aluis, seine frau lili, Rubia, eine aus dem norden stammende weisshaeutige, unecht blonde bahianerin und  ich auf eine balada (heisst so viel wie einfach party machen mit freunden – kann ueberall sein) an den strand von sao fransisco. wir gingen in eine offene bar – die bars und clubs sind meist alle zur strasse hin offen, d. h. keine fenster oder dergleichen. Rubia gehoerte zu den ungluecklichen frauen, die sich auf die treue der brasilianischen maenner verlassen hatte und wurde beim besuch ihres freundes in niteroi leider entaeuscht – eine lange 24stunden dauernde busfahrt aus bahia und  am ende wurde sie damit belohnt, dass sich heraustellte, dass er sich eine zweite freundin  hielt. aber auch das ist hier voellig normal – der untreue brasilianer -  bei  so viel weiblicher schoenheit und feilbietender erotik ueberwaeltigt kann er nun mal nicht anders...

mit Rubia sollte es mir nicht anders gehen und im laufe des abends sollte ich alle mir moeglichen register ziehen, um sie von meiner maennlichen ausstrahlungskraft zu ueberzeugen. sambaklaenge stroemten aus dem oberen stockwerk der bar in der wir landeten und ich folgte den frauen sogleich nach oben und fing an zu den rhytmischen klaengen mitzutanzen. ich hatte bis dahin noch nie richtig gelernt gehabt, die schwierige schrittfolge des samba einzuhalten, doch irgendwie floss es an diesem abend nur so aus mir heraus und angespornt von einer echten samba-prinzessin aus bahia, und eine prinzessin war sie mit sicherheit, begann ich wie ein echter brasilianer zu tanzen. ich machte ihr im laufe des abends unentwegt komplimente, konnte sie aber nicht dazu bringen mit mir ‘zu bleiben’ wie man hier sagt. sie war eben eine echte prinzessin und wollte ihre getruebte moral nicht gleich mit den naechsten besten vergessen....

 

 

 

Der Taxifahrer

Es ist einer dieser hässlich grauen Tage in Sao Paulo. Es regnet zwar nicht, doch die Wolkendecke lässt keinen Sonnenstrahl durch. Das trübe Licht verdichtet sich mit dem Smog der Stadt und erzeugt einen unheilvollen Grauton, der wie ein Schleier über ihr hängt.

Diese Stimmung macht es einfacher der Stadt und dem Land ‚Lebe wohl’ zu sagen, auch wenn man an so einem Tag manches nicht so genau erkennen mag, wie an einem sonnigen. Mit ‚manches’ ist all der Moloch und Misere dieses monströsen metropolitanen Gebildes  gemeint, welches Geist und Seele abstumpfen lässt und einem die Luft zum atmen nimmt.

Ich will zum Flughafen und laufe voll gepackt durch das alte Zentrum. Eine Freundin begleitet mich und hilft mir bei meinem Gepäck, was aus einem großen und kleinen Rucksack, einer Einkaufstasche und einem mehr als zwei Meter langen Surfboard besteht.

Wir sind am ‚Praça da Republica’ einem der großen Plätze im alten Zentrum der Stadt, irgendwo sollen hier Busse direkt zum Flughafen abfahren. Wir haben Glück und finden sogleich den Haltepunkt an dem schon ein Bus wartet. Der Busfahrer ist gerade mit einem anderen Passagier beschäftigt, als uns ein Mann anspricht, der wie sich herausstellt uns im Taxi zum Flughafen fahren will.

Ich sage ihm, dass ich nicht so viel Geld habe um ein Taxi zu bezahlen (ich weiss, dass der Preis sich dafür normalerweise um 60 – 70 R$ bewegt). Er aber sagt mit einem kühnen Lächeln, je 20 und meint damit uns beide, meine Freundin und mich. Daraufhin stelle ich klar, dass nur ich alleine fahre und so sagt er 25. Ich frage nach meinem Surfboard, dass auf jeden Fall mit muss und er beruhigt mich, er hätte ein großes Taxi und ‚a gente dar um jeito’ , ein in Brasilien viel gehörter Satz, der so viel bedeutet wie ‚es gibt immer einen Weg’ oder ‚wir kriegen dass schon hin’.

24 R$ hätte mich der Bus gekostet, 25 würde ich ihm am Ende bezahlen müssen. Ich überlege kurz ob an der Geschichte irgendetwas faul ist. Ich könnte ganz woanders landen, ausgeraubt und ohne mein Gepäck, weit entfernt vom Flughafen, vielleicht sogar mit einer Kugel im Kopf – meine Phantasie ist in solchen Momenten immer grenzenlos, doch weiß sie der Realitäten in diesem Lande. Er scheint aber ein offizieller Taxifahrer zu sein und außerdem würde noch ein anderer Fahrgast mitkommen – ein junger Bursche, dem mir mit seinen treuen naiven Augen einen etwas unbeholfenen verweichlichten Eindruck macht – aber auch er könnte mit ihm unter einer Decke stecken.  Ich wäge diese Möglichkeiten in Bruchteilen einer Sekunde ab, und entscheide mich für die etwas ungewisse Taxifahrt – die Busfahrt hatte ich bei meiner Ankunft gemacht und der Gedanke diese zu wiederholen langweilte mich.

Also laufen wir los zu seinem Taxi, dass auf der anderen Seite der breiten Straße geparkt ist. Er schnappt sich vorher noch mein Surfboard, dass ich eingepackt in eine dafür vorgesehene Tasche über meine Schulter trage. Er ist einer vom hellen kaukasischen Typus. Mir fällt auf, dass er fast keine Haare mehr auf den Kopf hat, aber noch nicht viel älter als ich zu sein scheint. Sein Bart um Kinn und Oberlippe, die ‚fast-Glatze’ um den runden wohlgeformten Kopf und die weiche Nase geben ihm robuste und doch anmutige Züge. Er trägt eine graugrüne Tweedjacke und Jeans, die alt und ausgewaschen sind. Er gehört auf jeden Fall nicht zu den in Krawatte und Anzug vorfahrenden ‚Taxistas’, die sonst am Flughafen immer aufkreuzen und einen überheblichen Eindruck machen.

Meine brasilianische Freundin erzählt mir währenddessen, dass sie hier auf diesem Platz schon mal ausgeraubt wurde und leider nun daran erinnert wird. Das Telefon und ihr Geld haben sie ihr damals abgenommen, mitten am Tag.

Wir packen alles was darin Platz findet in den Kofferraum des weißen Taxis und verstauen das Surfboard quer durch den Passagierraum. Nach einem kurzen Abschied nehme ich hinter dem jungen Burschen auf der Beifahrerseite platz.

Und schon rollen wir los.

„Letztens habe ich hier einen australischen Surfer mitgenommen, wie war gleich noch mal sein Name, muss ziemlich bekannt sein; hat auf jeden Fall ein Riesen Brett dabeigehabt, noch um einiges größer als deins und wir mussten es vom Kofferraum aus bis zur Windschutzscheibe durchschieben, aber es hat gepasst, auch wenn wir uns beide nicht sehen konnten, wegen des riesen Dings zwischen uns und ein wenig geduckt sitzen mussten.

Unterhalten ging schlecht – er sprach kein Wort portugiesisch, meine Englischkenntnisse sind ziemlich mies und außerdem hat er dieses extreme Aussieenglisch drauf, was kein Mensch versteht, das Surfbrett klemmt zwischen uns, also universelle Zeichensprache, womit ich sonst doch immer irgendwie klar komme auch nicht möglich.“ Dabei schaut er mich durch den Spiegel direkt an um diese Feststellung wohl zu betonen.

“Er wollte runter nach Guaruja zu einem Surfwettbewerb und wir fuhren also fast die gesamte Strecke ohne ein Wort zu sprechen (eine ihm quälende Vorstellung, wie ich bald merken würde). Aber dieser Aussie war ein prima Kerl, ich bin noch eine Weile mit ihm in Guaruja geblieben und wir schauten zusammen den Surfern zu und den Frauen nach.

Wohin geht’s denn eigentlich bei euch? “ „Miami“ sagt der Schüchterne vor mir. „Alemanha“ sage ich.

Eine kurze Stille tritt ein. Wir fahren vorbei an Geschäften und Wohn -und Bürotürmen, das Hupen der Autos dringt in die Kabine, die Klimaanlage ist eingeschaltet, Passanten bewegen sich auf den chaotisch betonierten Fußgängerwegen – man muss immer ein Auge auf den Boden haben, sonst kommt man in Sao Paulo leicht ins stolpern – ich sinne den gestrigen Momenten noch einmal nach, wo ich waghalsig die auf den Strassen der Stadt mit meinem langen Skateboard fuhr; er erzählt irgendwas von einem Geldwäschekurier zwischen Miami und Sao Paulo, den sie am Flughafen vor kurzem mit ziemlich viel Geld im Koffer festgenommen haben, von irgendetwas politischem,  aber ich höre nur halb hin und versuche meditativ den sich draußen vor mir abspielenden Film einfach nur wahrzunehmen – ein Spiel, dass ich desöfteren versuche zu spielen. 

„ Ja das Geld und die Armut – immer dieselbe Geschichte – immer gibt es solche die an der Misere der anderen verdienen.“ Wir halten gerade an einer Ampel. Über der Kreuzung führt ein großes Viadukt der innerstädtischen Autobahn hinweg, das brechend voll vom üblichen täglichen Verkehr ist. Heute dürfen wahrscheinlich mal wieder die Autos mit der ungeraden ersten Zahl auf der Kennzeichennummer fahren. Die, die es sich leisten können, haben natürlich zwei angemeldete Autos um dieser stadträtlichen Tyrannei aus dem Wege zu gehen.

Unmittelbar vor den an der Ampel wartenden Autos jongliert gerade ein Straßenkünstler mit vier großen Messern, die er weit in die Höhe wirft. Immer höher wirft er sie, und als er am Ende seiner kurzen Vorstellung eine solche Höhe erreicht hat, dass man meinen könnte, sie würden bald an den Beton des Viadukts stoßen, fängt er alle nacheinander auf und stellt sich noch einmal vor den auf Grün Wartenden in Pose auf. Als die Ampel umschaltet sehe ich ihn  noch hoffend auf eine kleine Spende auf einen der in vorderer Reihe stehenden Autos entgegen laufen. Aber er hat diesmal kein Glück. Von weiten nur kann ich in das enttäuschte Gesicht des Gauklers hineinschauen. Seine Augen scheinen blau zu funkeln. Sie erzählen von der Freiheit und der Härte des Lebens als Wanderer. Die zu einem Zopf zusammen- gebundenen Dreads unterstreichen sein zigeunerhaftes Wesen. Mein Surfbrett versperrt mir den Blick als wir direkt an ihn vorbeifahren, zu gern hätte ich ihm was zugerufen.

Unser Weg führt hinauf auf das Viadukt entlang der vielen durch den Smog und Regen schmutzig dunkel gefärbten Hochhäuser des alten Zentrums von Sao Paulo. Unterdessen kommt unser Fahrer wieder in Schwung.

„Ja das Geld. Alles dreht sich darum. Wo bleibt es in dieser Stadt? 300Millionen Reais hat die Stadtverwaltung letztes Jahr alleine durch Radarfallen an Bußgeldern eingenommen, 160’ hat sie angeblich offiziell ausgegeben. Und der Rest, wohin verschwindet der Rest…in irgendjemandes eigener Tasche. Das Geld, das Geld. Wenn man welches hat, vermehrt es sich wie von selbst. Bingospielhöllen bringen ne Menge ein, n’ dutzend für einen fahrenden Taxis sind auch gut, ein gut laufender Puff bringt saftige Gewinne, obwohl wenn man’s anders betrachtet sind die Nutten hier noch verdammt billig.

Hab hier vor einiger Zeit zwei Griechen herum gefahren, die meinten dass ne Gute, also eine mit Klasse und wie ein Model, die hier 200R$ (80$) dort drüben 300$ kostet. Hab die Jungs mal bis runter an die Küste kutschiert und wir haben einen Nachmittag in einem Restaurant halt gemacht, wo wir zusammen für 500R$ gegessen und getrunken haben – für die Kerle ein Schnäppchen, für mich ein gesamter Monatslohn. Aber alleine der Wein hätte in Griechenland so viel wie das gesamte Essen gekostet, erzählte mir der Eine.

Wann geht euer Flug eigentlich? “ und sieht mich dabei wieder durch den Rückspiegel an, etwas was er auch sonst während seiner Monologe unaufhörlich tut. Seine dunklen zusammengekniffenen Augen schauen mich dabei erwartungsvoll an – lächeln tun sie dabei immer.

 „So gegen vier“ sage ich etwas gelangweilt. „Noch später“ sagt der vor mir Sitzende. „Ja da haben wir ja Zeit. Gut nicht stressen zu müssen.“

„Wie weit ist es bis zum Flughafen“  frage ich. „ 38km eine Strecke – hin und zurück und man wäre auch schon am Strand. Ja diese beiden Griechen, die hab ich ne ganze Zeit über einen Monat herum gefahren. Haben ne Menge Nutten und Drogen verkonsumiert die beiden. Eine der Nutten vermutlich muss sich da so ihre Gedanken gemacht haben – wenn die beiden so viel Kohle in ‚drogas e meninas de programa’ (Drogen und Huren) ausgeben und ansonsten nichts tun, müssen das Drogendealer sein, und verpfeift die Jungs an die Bullen. Die krallen sich die Jungs in meinem Taxi und buchten uns erstmal zusammen ein. Stellt sich aber heraus, dass auf deren Hotelzimmer nicht mehr als 100R$ an Drogen zu finden waren. Nachdem die mich erst einmal frei gelassen hatten, kümmerte ich mich darum den Preis für deren Freilassung auszuhandeln. Zuerst wollten sie 6000R$, dann einigten wir uns auf 4000R$, da ich die Bullen überzeugen konnte, dass die Jungs harmlos sind. 2000 gingen direkt in Hände der Zwei, die sie verhaftet hatten, der Rest in die Staatskasse.

Danach als die Jungs wieder draußen waren hatte ich ein wenig Bammel, ob die mir wohl glauben würden, dass ich nichts mit der Sache zu tun hatte. Da sagte mir aber der eine, dass er weiß wie jemand aussieht der ihn verpfeift und ich konnte mich wieder beruhigen. Paar Tage später ruft er mich dann doch wieder an und ruft mich auf ihr neues Hotelzimmer. ‚Da wir wegen dieser läppischen Menge von mieser Qualität eingebuchtet wurden, und du uns da so gut rausgeholt hast, zeigen wir dir jetzt mal was wirklich ne Menge ist’ und öffnet vor mir seine Tasche und holt ein Päckchen nach dem anderen raus. 7 Kilo reinstes Koks, so kristallin wie ich es in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen hatte. Plötzlich wird mir klar, dass die Kerle die ganze Zeit hier auf der Suche nach dem richtigen Stoff waren und sich zum Testen all das Zeug rein gezogen haben.“ 

Mir kommt es in den Sinn und frage “ vom Stein“, was mir als gutes Indiz aus alten lasterhaften Zeiten in Erinnerung geblieben ist. „Ja natürlich“, und er schaut mir wieder direkt ins Gesicht und ist wohl froh, dass ich seiner Geschichte folge. „Natürlich war es fest und brach in Stücke, aber die Qualität, die Reinheit lässt sich an der dunklen kristallinen Farbe ausmachen. 600000R$ hier und dort drüben 6000000€, das nennt sich Gewinn, oder?“

„Weißt du auch wie die das Zeug von hier rüber kriegen“ frage ich, weil mich die Story richtig neugierig macht.

Wir stehen gerade wieder mal an einer Ampel an der Auffahrt zu einem neuen Viadukt. Noch sind wir im urbanen Großraum der Stadt. Häuser säumen die Straße. Plötzlich biegt mit Sirene und Blaulicht ein großer Feuerwehr-Truck in die Straße und stellt sich quer vor die Autos. Angefacht durch die Gangstergeschichten rumourt in mir der Gedanke, dass die die Autos vor der Weiterfahrt blockieren wollen, um möglicherweise eins oder gar unseres hochzunehmen. Doch dann setzt er zurück und fährt rückwärts auf den Fußweg und parkt. Als die Ampel umschaltet und wir weiter fahren, sehe ich wie ein Militärpolizist weiter vorn über einen dort auf den Fußweg liegenden Mann sich beugt und mit ihm spricht – der arme Kerl scheint mir von der ganzen Aufregung, die wohl um ihn gemacht wird nicht sehr erfreut zu sein. Wahrscheinlich wollte er nur mal wie so viele in S.P. auf der Straße lebenden ein Nickerchen machen.  Na wenigstens würden sie ihn in der Notaufnahme kostenlos behandeln müssen, das ist in Brasilien Gesetz.

„Ganz clever machen die das. Die checken das Koks ganz normal im Gepäck ein. Aber auf einen gefälschten Pass ohne Passagier und die Jungs fliegen mit einem anderen Flieger hinterher. Am Zielflughafen wartet natürlich ein anderer, der das Gepäckstück dann entgegen nimmt. Musste nicht letztens der Flughafen von Paris geschlossen werden, da es ein Gepäckstück ohne Eigentümer gab…?

Dahinter stecken natürlich ne Menge Leute, die alle daran mit beteiligt sind und bestochen werden, damit die Sache reibungslos über die Bühne geht. Man muss bezahlen, da läuft nix mit sich gut stellen und freundlich zureden mit den Leuten – man muss bezahlen!

Die Beiden kommen hier an und werden von hier einheimischen Griechen unterstützt. Namen kennt keiner und sehen tun die sich auch nicht. Sie sprechen nicht einmal miteinander, da die Kerle wieder Mädels anrufen, die für die dann die Anderen anrufen. Die Nummer, die er mir aus Griechenland gegeben hatte, funktionierte natürlich auch nicht. Da war ne Frau dran die wohl auch Übermittlerin war, aber leider eben kein Wort portugiesisch konnte.

Die Jungs gaben mir 150Gramm von dem Zeug. Ich sollte es für sie aufbewahren bis sie wieder zurück sein würden. Da sie aber nicht kamen und ich nicht ewig auf dem Zeug in meinem Haus rumsitzen wollte, hab ich’s dann über einen Bekannten verkauft.“

Links von uns schlängelt sich der Tietê, der Fluss, der durch die halbe Stadt führt. Früher einmal  der große Strom auf dem die ‚Bandeirantes’ das riesige Hinterland dieses gigantischen Landes eroberten, heute nur noch eine stinkende Kloake, die  die  Abwasseranlage der Stadt ist. „Ja, die Drogen und das schnell verdiente Geld. Manche schlucken es, manche nähen es sich in ihre Kleidung ein. Wieder andere lassen sich ganz raffinierte  Sachen einfallen, wie es in Whiskey aufzulösen. Sieht aus wie ganz normaler Whiskey - mir hat’s mal einer gezeigt. Ich frag ihn noch was er denn Whiskey nach Übersee mitnimmt, wo es doch dort viel billiger wäre als hier. Da grinst er mich an und sagt, dass das kein normaler Whiskey sei und erklärt mir das in der Flüssigkeit ne Menge Stoff aufgelöst sei, den er dann mit Hilfe desselben umgekehrten chemischen Prozesses in reines Kokain zurückverwandeln wird. Irre oder?“  

Die aus der Stadt führende Autobahn hat nun fünf zeitweise sechs Spuren. Immer wieder reihen sich vereinzelt kleine Siedlungen aus Pappe, Holz und Blech – die primitivste Form ‚Favelas’, der Armenviertel. Besonders beliebt sind die etwas wettergeschützten Stellen unter den Viadukten. Da türmen sich dann mehrstöckig solche improvisierten Hütten. Vor einigen Jahren sah ich mal beim vorbeifahren eine Frau, wie sie ihr Kind am Rande der Fahrbahn stillte, den Abgasen dabei unmittelbar ausgesetzt.

„Wo warst du denn eigentlich surfen?“ fragt er mich. „Auf der besten Welle Brasiliens in  Saquarema.“  antworte ich ihm.

„Saquarema hm, wie hoch waren den da die Wellen?“ „Am besten Tag 3-4Meter“ sage ich. „Mein Bruder war auch mal Surfer, der fuhr immer nach Guaruja oder Ubatuba. Hatte ein schönes Board mit einem großen Hai drauf. Konnte ziemlich gut surfen bis er dann angefangen hat mit den Drogen. Die haben ihm dann alles versaut. Hat dann sein Board verkauft um welche zu kaufen und ab da gings nur noch abwärts. Heute wohnt er weit draußen im Hinterland mitten im ‚Mato’ und lebt vom Fischfang, der nächste Ort 25km entfernt und den kann er nur zu Fuß erreichen. Hofft wohl dort wieder davon loszukommen. Denn immerhin muss er weit laufen bis er sich mit neuem Stoff versorgen kann.“

„Die Natur hat die Kraft Menschen zu heilen“, werfe ich ein um auch mal etwas Hoffnungsvolles der Konversation beizusteuern.    

„Ja klar, mag sein, aber geheilt ist der noch nicht.“

Nun erreichen wir allmählich die Außen – und Randbezirke dieser riesigen Stadt. Die Farbe grün setzt sich langsam durch. „Schau dort rüber in diesen Sumpf. Drüben auf dieser Insel da“ und er zeigt mit der ausgestreckten Hand nach rechts, wo sich eine nur mit Gras und Sträuchern bewachsene Ebene mit kleinen Wassertümpeln erstreckt . “Dort drüben fanden sie die Leiche des Bürgermeisters von Santo André (einer Vorstadt Sao Paulos). Keiner weiß warum er ermordet wurde, aber so ist es eben, wenn man das Spiel der Anderen nicht mitspielt. Den Typen, der ihn erschosesn hat, haben sie wohl gekriegt. 10000R$ soll er wohl dafür kassiert haben.“ Fordernd blickt er mich dann wieder durch den Spiegel an, so als ob er mich zu irgendetwas herausfordern möchte. Er kann einfach nicht aufhören zu reden, er ist wohl nun so richtig in Schwung gekommen. Mir erscheint er wie ein Marktschreier der grausigen Realitäten dieses Landes zu sein und ich bin nun mal diesem Aufschrei ausgeliefert und muss mich ihm stellen. Mit seiner klaren, kräftigen Stimme, dieser geballten, faustigen Aussprache, seiner Sprache, die zum einen von gutem Menschenverstand zeugt, zum anderen von der Straße geprägt ist, gibt seinen haarsträubenden Erzählungen die nötige Kraft und Intensität. Aber der maschinenartige Auswurf seiner Geschichten verlangt ein zu hohes Maß an Aufmerksamkeit. Mein Blick schweift über die am Horizont sich auftürmenden Favelas aus Stein und Ziegel, die sich krakenartig, ohne auch nur einen Fleckchen Erde frei zu lassen über ganze Hügelketten ausbreiten. Er redet weiter, aber ich höre nicht mehr hin, versuche meine Euphorie und die gute Stimmung, die ich vorher hatte, bevor ich in dieses Taxi stieg, wieder mir bewusst zu machen. Lange Zeit habe ich nicht über die grausigen Realitäten, die in diesem Land herrschen, nachgedacht, habe es gemieden mich von den Medien mit ihren sensationshäschernden Nachrichten berieseln zu lassen, weil diese nur verstören, als aufklären.  Wie ein Pastor erzählt er von den Höllenschlunden dieses Landes, wohl um seiner Egozentrik wegen, vielleicht aber auch weil er nicht anders kann um sich Luft zu verschaffen von seinem Alltag. 

Wir verlassen die breitspurige Autobahn und nehmen den Zubringer zum Flughafen

„Ja die Leute denken ein Kerl wie ein Auftragskiller wohnt und kommt aus der Favela. Nee, ganz und gar nicht. Einer meiner Kunden ist einer. Der ist ein schlauer Bursche, stammt aus keinen armen Verhältnissen, geht immer gepflegt angezogen. In einer Nacht haben sie mal 12 Typen umgelegt, wie er mir erzählte. Er sei mies wenn es darum geht ein guter Mensch zu sein, aber er sei ein verdammt guter Krimineller. Wie er das macht, dass er von der Polizei nicht geschnappt wird? Man muss wissen mit wem man sich gut stellen muss und wen bezahlen – da läuft die Sache. Einmal sei er von den Bullen überführt worden. Da der Lohn eines Polizeidirektors nicht allzu hoch ist hat er sich eben freigekauft und verließ die Wache durch den Haupteingang. So einer ist natürlich immer bewaffnet. Das letzte Mal als ich ihn fuhr, trug er zwei Automatische und eine Handgranate für den Fall, dass es auch Situationen gibt, wo man mit den Bullen nicht mehr verhandelt.“

Inzwischen haben wir den Zubringer verlassen und nehmen die Abzweigung zur Check-In Auffahrt. In mir steigt die Frage auf ob der Glaubwürdigkeit seiner Geschichten. Er setzt ein letztes Mal nach: „Hier drüben“ und zeigt dabei auf den Frachtterminal, „hab ich mal mit Einem ein Röntgengerät abgeholt. Die Einfuhrsteuer für das Gerät hätten 60000R$ betragen, bezahlt hat er 30000 von denen der Staat keinen Centavo gesehen hat.“

Er hält vor der Eingangstür des Terminals an. Der auf dem Vordersitz steigt aus und ist auch schon mit einem etwas verzerrten Abschiedslächeln verschwunden. Wahrscheinlich sind ihm die Geschichten wie mir zu sehr zu Kopf gestiegen. Wir bugsieren zusammen mein Surfbrett aus dem Taxi.

„Toby Martin hieß der Surfer“. „Welcher Surfer“, frage ich. „Na von dem Australier von dem ich dir erst erzählt habe.“ „Ach so, meinst du den mit dem großen Brett.“ und er nickt zufrieden auch dieses Detail noch aus seinem Gedächtnis herausgekitzelt zu haben.

„ Ich bezahle ihn und gebe ein kleines Trinkgeld dazu. Er lächelt und zeigt mir noch mal seine guten Zähne. Seine Barthaare sind schon am ergrauen, die wenigen auf dem Kopf ebenso. Die dunkle Welt der Straße hat ihre Spuren bei diesem Mann hinterlassen.  „Wie lange fährst du schon Taxi?“ frage ich ihn. „13Jahre, seit ich 19 bin“ und wir schütteln uns die Hände. „Warte, ich geb dir meine Nummer und du rufts mich an, wenn

du mal wieder zurückkommst.“ Oh, ja denke ich. Du könntest mir die Welt der Straße und Unterwelt zeigen, dass man tausend Bücher drüber schreiben könnte.

Er steigt ein. Wir geben uns dass alles sagende Daumen-Hoch-Zeichen und schon fährt er davon.

Ronny Diehl, 2005

Eine Begegnung im Bild

Leichtfüßig unterwegs, beschwingt durch das gleißende Licht der untergehenden Sonne rolle ich mit meinem Longboard über den Beton der Brücke, die den Ausgang der Lagune Saquaremas überspannt. Eigentlich ist hier gerade Winter in Brasilien. Und doch ist es ein heißer, sonniger Tag, der nur durch den kalten Südwind und die sich immer dazwischen schiebenden Wolken etwas an seiner Kraft einbüßt. Ein paar Angler und Fischer tummeln sich auf der Füßgängerbrücke und am Wasser.

Auf der Mitte der Brücke an ihrem höchsten Punkt blicke ich zurück zu den in orangenen Licht getauchten Häusern der ‚Vila’, dem alten Stadtzentrum Saquaremas. Sehen kann ich die Sonne nicht – eine riesige Wolke hat sich ihr in den Weg gestellt. Trotzdem aber ist die Abenddämmerung von ihrem Licht erfüllt. Ihre Strahlen fallen unter der Wolke herab und scheinen wie in einer schäumenden Gischt aus Licht und Nebel zu tanzen. Während ich das Schauspiel fotografiere, fragt mich ein Vorbeikommender, was ich denn da mache und ich zeige einfach in Richtung des Lichts und er versteht sofort und sagt ‚Parece cachoeira’ (sieht aus wie ein wasserfall) ‚muito bonito’ (wunderschön). Ich  stimme ihm mit einem Lächeln zu.

Zufrieden über diesen eingefangenen Moment laß ich mich von der Brücke herunterrollen und mache Halt an einer Padaria. Padaria bedeutet wörtlich übersetzt eigentlich Bäckerei. Jedoch ist eine Padaria in Brasilien viel mehr als das – sie ist prinzipiell auch Bistro, Kneipe, Tabakwarenladen, Konditorei, Käse-, Wurstwaren- und Saftladen und noch manches mehr in einem. Eine Padaria ist der Anlaufpunkt für alle Art von Einkäufen, besonders zu später Stunde, wenn andere Geschäfte längst zu sind, oder aber eben morgens um einen frischen Cafe zu trinken und sich ‚pão francês’ (französische Brötchen), die in fast ganz Brasilien einheitliche und einzige Art von Brötchen zu holen. Außerdem gibt es hier meist auch ‚Salgados und Pão de queijo’ zu kaufen, dessen Köstlichkeit süchtig machen. Salgados und Pão de Queijo sind Ausdruck für Brasiliens kulinarischen Einfallsreichtum. Salgados (wörtlich übersetzt eigentlich nur etwas salziges) sind in allen möglichen Formen und Variationen angebotene Teigtaschen – perfekt für den Hunger zwischendurch. Pão de Queijo, das ‚Käsebrot’, sind aus Käse, Milch, Ei und Farinha (aus der Maniokpflanze gewonnenes Mehl) gebackene Bällchen, die je nach Machart von Finger bis zu Faustgröße an Durchmesser erreichen. Die am typischsten vorkommende Form liegt  wohl zwischen Golf - und Tennisballgröße. Wer einmal einen frischen noch warmen ‚Pão de queijo’ gekostet hat, der kommt von ihnen auch schon nicht mehr los. Mittlerweile sind sie zu einem brasilianischen Phänomen geworden. An jeder Ecke werden sie angeboten und es gibt nun auch seit ein paar Jahren eine Bistro-Kette, die sich nach den Käsebällchen benannt haben. Salgados und pão de queijo sind das Beste für den kleinen Hunger (die Redundanz ist beabsichtigt), eine höhere Anzahl genügt auch für eine ganze Mahlzeit. Meistens aber ist es der pure Appetit, der mich zu ihnen treibt. Dann trinke ich dazu noch einen ‚Suco’, einen frisch gemixten Fruchtsaft aus dem tausendfachen Angebot von Fruchtsorten, worin Brasilien auch Weltmeister ist. So eine fast food Mahlzeit auf brasilianscher Art ist auf jeden Fall besser und gesünder als jede andere. Überhaupt haben es die amerikanischen Fast-Food-Ketten in Brasilien schwer sich durchzusetzen, obwohl sie für ihr Angebot sehr geringe Preise ansetzen. Sie haben einfach keine Chance gegen die so üppige einheimische Vielfalt, im Gegensatz wie das sonst in so vielen anderen Ländern der Fall ist.

So bestelle ich mir dann auch einen ‚Pao de queijo’. Er wird mir wie immer  eingehüllt in einem guardanapo (Serviette) gereicht. Die ‚guardanapos’ sind auch in ganz Brasilien gleich, als wären sie einheitlich genormt. Immer dieselbe Größe  bestehen sie immer aus diesen plasteartigen hauchdünnen Papier, eigentlich völlig ungeeignet um Flüssigkeit aufzusaugen, jedoch gut bewährt zum zurückhalten von herunterlaufenden Senf und sonstigen flüssigen Substanzen, die v.a. beim Essen der leckeren einheimischen Burger einem auf Finger und Hände laufen. Dieses besondere Zellulanpapier benutzen auch die ‚Grassraucher’, von denen es auch in Brasilien zu genüge gibt, um darin billigerweise ihre joints zu drehen. Mir ist es zwar heute noch ein Rätsel, wie sie das immer hingekriegt haben – heute gibt es überall dafür vorgesehenes Papier zu kaufen – aber die darin gewickelten joints standen denen in richtigen Papier mit Klebestreifen in nichts nach.

Ich kaue genüsslich meinen in einen guardanapo eingewickelten ‚Pão de queijo’ und drehe mich wieder zur Strasse und sehe, dass die Sonne mittlerweile unter der grossen Wolke hervorgekrochen kommt. Ihr Licht strahlt und spiegelt sich am Wasser der Lagune. Auf der anderen Seite der Strasse gibt es ein kleines Refugium von Palmen und Bäumen. Ich verlasse hastig die Padaria ohne den ‚Pão de Queijo’ zu bezahlen. Das hat noch Zeit, die Sonne aber lässt nicht auf sich warten. Sie kennt weder Hast noch Geduld, sondern dreht sich unermüdlich weiter.

Ich überquere die Strasse und wandere über eine angelegte Grünfläche zum Ufer der Lagune. Zwischen zwei kleinen Palmen die das Ufer zieren, entdecke ich eine steinerne Statur, die einen  buckligen kurzwüchsigen Mann mit Hut darstellt, der zum Wasser schaut – das Denkmal macht einen etwas verlorenen Eindruck an diesem Platz.

Ich ziehe meine zum Abschuss bereite Kamera aus dem Rucksack und ziele ein, zwei, drei Mal. Die Sonne kriecht nun schon langsam unter die Berge. Ich versuche die Romantik mit Hilfe der Palmenblätter auf den Motiven zu betonen. Plötzlich bemerke ich einen älteren Mann, der offenbar genauso wie ich diesen Moment auf einer Bank zu genießen scheint. Neugierig treffen sich unsere Blicke und wir sagen uns ‚Hallo’.

Er ist von jungenhafter Statur. Die Zeit scheint ihm ein guter Begleiter zu sein. In kurzen Hosen, T-Shirt und Sandalen ist er dennoch eine elegante Erscheinung. Es scheint so als käme er gerade von einem  Sonntagsspaziergang mit seinen Eltern, so als wäre die Zeit stehen geblieben. Mit strahlendem Lächeln begrüßt er mich und wir kommen sogleich ins Gespräch. Er bleibt auf der Bank sitzen, während ich mich vor ihm hinhocke und seinen Gedankengängen über die Schönheit des Lebens zuhöre. Er spricht über die Bäume, die um uns herum in diesem parkähnlichen kleinen Refugium vereinzelt stehen und handgroße gelbe Blüten tragen – ich hatte ihnen bisher noch keine Beachtung geschenkt. Er schwärmt von der schönsten Zeit seines Lebens in den Sechziger Jahren,  als diesen  Ort noch eine überschaubare Gemeinschaft bildete und alle wie eine Familie zusammen hielten. Da gab es nur eine befestigte Straße, die durch den Ort führte, den Sand sonst überall noch unter den nackten Füßen spürend. Da hielt die Welt auch noch politisch zusammen.

Die Sonne bildet am Horizont immer noch diesen Wasserfall aus Licht und eine Stimme in mir wird sich bewußt, dass dies ein besonderer Moment ist, den ich festhalten sollte. Es ist dieses Strahlen in seinen Augen, diese Agilität die er sich im Alter noch bewahrt hat, die mich so faszinieren und zugleich Spiegel sind für das innere Feuer, was ich in mir selbst mehr und mehr seit Beginn der Reise wahrnehme.  Also frage ich ihn, ob ich ihn denn photographieren dürfte, worauf er mit Bescheidenheit einwilligt. Ich bleibe also in der Hocke und mache so wie ich bin ‚sein’ Photo. Es ist ein kleiner Moment, der mir doch alles bedeutet – die Kraft und Energie des Lebens habe ich schon Jahre nicht mehr so bewusst wahrgenommen.

Wenn du mir einen Gefallen tun willst, dann schicke das Photo zu der Padaria gegenüber an Sergio. Die wissen dann schon wer gemeint ist, sagt er. Ich sage ihm, dass ich das natürlich tun werde. Ich möchte mich  verabschieden und gebe ihm die Hand, als sich in seinem Gesicht erneut ein strahlendes Lächeln entfaltet und er mich fragt wie alt ich bin, worauf ich’s ihm verrate. Ich kann dir nur eines sagen, was wirklich wichtig ist im Leben, sagt er dann auf einmal mit pathetischem Ton: Lebe jetzt, solange du noch jung bist! Lebe heute, egal was morgen sein wird oder gestern war. Die Jahre werden nie wieder kommen. Ich stimme ihm zu und beschwöre ihn nicht zu vergessen und seinen Ratschlag zu beherzigen.

‚Willst du mein Geheimnis wissen’, holt er dann noch mal aus, nachdem ich eigentlich schon im Gehen bin. Natürlich würde ich es gern wissen, bekunde ich ihm und gehe wieder an ihn heran.

‚Tudo é destino’ (alles ist vorbestimmt), sagt er.

Ich bin überrascht und verwirrt zugleich über diesen simplen Satz, den man doch schon so oft gehört hat und frage ihn, wie er das denn meint. ‚Es zeugt von Unwissenheit über das Morgen und noch Kommende nachzudenken, weil es sowieso passiert, wie es vorherbestimmt ist. Wir können nur das beste aus jedem Augenblick machen. Wenn du das tief in dir völlig erkannt hast, brauchst du auch vor nichts mehr Angst zu haben. Jeder Moment ist der perfekte Moment. Dann wirst du wie der wahre Surfer, der eins wird mit der Welle - für den nichts mehr als ihn und die Welle existiert. Du verschmilzt mit dem Fluß des Lebens. Das ist die Magie, die es zu erkennen gilt. Und wenn es einen Gott da draußen gibt, dann hat er uns diese eine Aufgabe gestellt für die wir hier sind.’

Seine weitgeöffneten Augen schauen mich an, als wollten sie ebenso wie seine Worte sich in meinen Geist einbrennen. Ich fühle mich ein wenig benommen, ja so als wäre mein ganzer Körper betäubt. Ein wenig belustigt mich die theatralische Symbolik der Situation. Sie erscheint fast schon surreal. Die letzten Sonnenstrahlen tauchen unsere Kulisse in ein rot-feuriges Licht, die die hypnotische Atmosphäre untermauert.

Nach  einem Moment des einvernehmlichen Schweigens verabschieden wir uns ohne ein weiteres Wort zu sagen – es wurde ja schon  alles gesagt. Noch immer von dem Gefühl benommen, gerade etwas Besonderem widerfahren zu sein, verlasse ich wie ein Pilger sein Mekka das Ufer der Lagune und gehe zurück zur Padaria – ich habe ja noch einen ‚Pão de Queijo’ zu bezahlen. Schulden vergesse ich nie – auch nicht nach einer kleinen Pilgereise.

Ein sehr persönlicher Tribut an den brasilianischen Fussballspieler Ronaldo während der WM2006

 

Graças a Deus  por me ouviu! (Danke dir Gott, dass du mich erhört hast)

Was wäre die WM ohne Brasilien – was wäre die WM ohne Ronaldo?

Brasilien ‚ist’ die WM. Der Mythos des schönsten Spiels im größten Wettbewerb lebt vom farbenprächtigen Papagei. Die Vielfalt der Welt und ihrer Menschen vereint in einem Land, einer Mannschaft. Die Freude am ‚Spiel des Lebens’ in ihren zwei Bedeutungen von ihren Meistern vorgetragen.

Einst gab es Pelé, dessen Name schon alles sagt – heute gibt es Ronaldo, dessen Name genauso alles sagt.

‚Adoro a seleçao – adoro o Ronaldo, o phenomeno’ (Ich liebe die brasilianische Mannschaft – ich liebe Ronaldo, das Phänomen).

Ronaldo ist Ikone , und doch können Ikonen auch manchmal ihren Glanz verlieren und fallen gelassen werden. Menschen verlieren schnell die Hoffnung – ich schließe mich dabei selbst nicht aus. Wir müssen nach den Glauben und der Hoffnung suchen. Wir müssen uns Gottes Gnade ehrfürchtig wünschen, damit er uns an seiner endlosen Freude und Erkenntnis teilhaben lässt. Nur so überwinden wir den Zweifel und finden zurück zu unserer Stärke  - unser Licht erleuchtet und verbindet sich mit dem Alleinen.

In dieser Welt der Bildschirme haben wir unmittelbar Anteil an den Tragödien und Träumen unserer Ikonen. Früher entstanden so Mythen und gottähnliche Legenden. Heute bleiben sie real, um den Preis, dass sie die Magie der Illusion einbüßen. Das Göttliche ist deswegen nicht weniger real – die Ratio des Menschen kann und darf sich ihr niemals verschließen.

 

Oh Ronaldo, ich sah, wie die Suche nach deinem Licht auf deinem Gesichte einen Schatten schlug. Ich sah wie die Aufgabe , dein ‚mojo’ zu finden auf deinen Schultern lastete und deine Seele niederdrückte. Alle erwarteten es von dir und du selbst wohl noch am Meisten.

Einsam schienst du auf dem Felde umher zu irren – der Ball wollte einfach nicht mit dir spielen, wollte einfach nicht gehorchen. Es schmerzte beim Zuschauen.

Ich gab dich auf und schrie lauthals nach, was alle Anderen wohl ebenso dachten und viele forderten – gebt ihn auf, er bringt’s nicht mehr - lasst einen anderen ran. Schnell ist man mit seinem Urteil – gering die Hoffnung ohne den Glauben -  sie verliert und verirrt sich in den Gedanken.

Doch dann ein plötzlicher Lichtblick. Ich liege nachts wach und sinne nach in nächtlicher Meditation. Seit geraumer Zeit fühle ich, wie mich mein ‚mojo’ verlassen hat und wie ich mich verloren ohne ihm fühle. Ich stelle mich der Aufgabe es zu finden, doch es fehlt an Glaube und ehrfürchtigem Wunsch es wieder zu erlangen. Zweifel ist mein größter Feind oder wie mein Therapeut sagt zur Zeit mein größter Freund. Disziplin und Konsequenz sind die Tugenden, die ich meine am meisten entwickeln zu müssen. Mir scheint, wir beide stecken in ähnlichen Situationen.

Ganz spontan fange ich an für dich zu beten, du mögest dein ‚mojo’ finden. Wir alle sind durch das Göttliche verbunden. Licht strahlt und will durch uns hindurch strahlen um uns zu erleuchten – wir sind nur ständig damit beschäftigt es zu verhindern. Im kollektiven Bewusstsein werden wir eins mit uns und dem Alleinen. Daher glaube ich an die Wirkung meiner Gebete. Ich sende dir mein Licht und die Kraft, die du für das morgige  Spiel brauchst um es allen zu beweisen, die nicht mehr an dich geglaubt haben – mich inbegriffen. Gedanklichen Faszinationen, diese WM möge ‚deine’ dritte und legendäre WM werden, wie es einst die WM 1970 für Pelé wurde, versuche ich nicht allzu sehr nachzuhängen – der Geist neigt dazu sich in den Phantasien abzulenken.

 

Und dann spielst du – die Japaner machen sich gut. Ihr seid wieder zu sehr mit eurem Ballzauber beschäftigt. Es fehlt euch an ‚Sturm und Drang’. Meine Gebete der gestrigen Nacht sind mir noch sehr wohl im Gedächtnis. Manchmal kommen sie mir ein wenig naiv vor. Das ist die Ratio des zivilisierten Menschen, der glaubt, dass alles von einem Zentrum, seinem Kopf, ausgehe. Wenn wir abendländische Menschen  tanzen und musizieren, verliert sich die Spontanität in der Statik des vom Takt bestimmten Rhythmus. Der Kopf steuert von oben nach unten alle Körperteile. Die afrikanische Kultur und somit die Brasilianische ist geprägt von einem polyzentrischen Körperverständnis – das Herz gibt zwar den Puls vor, an den man sich orientiert, aber auch nicht mehr – jeder folgt seinem Gefühl und ist Sammelpunkt in der Gruppe. Im Menschen gibt es viele Sammelpunkte, die sich unabhängig voneinander bewegen können. Dies muss man fühlen und mit der Seele verstehen – will man  wirklich ‚Samba’ tanzen. Tage an denen ich versuche den Samba mit dem Kopf zu tanzen, markieren die erfolglose Suche nach dem ‚mojo’.

Aber was verliere ich mich schon wieder in nutzlose Gedanken. Da, das Kopfballtor von dir – dein Kopf ist eigentlich nicht deine größte Stärke. Erleichtert könnt ihr in die Pause. Und ich kann kaum glauben, dass mein Glaube Berge versetzen kann - ein letztes Aufbäumen des Zweifels. Im NU erstickst du ihn mit deinem zweiten Geniestreich in der zweiten Hälfte - in deiner typischen Manier dribbelst du raketenartig den Japanern davon und kickst ihn rein – ‚O Phenomeno voltou’(das Phänomen ist zurück)!

Amen


R. D. 2006  


Der auf der Webseite des deutsch-brasilianischen Magazins Brazine veröffentlichte Text: 

Kulinarische Streifzüge eines Besessenen durch Brasilien

 

Hat man einmal an der kulinarischen Vielfalt Brasiliens geschnuppert und gekostet, lässt sie einen Deutschen auch nicht mehr los. Aus eigener Erfahrung kann ich gar von einer Besessenheit sprechen. Eine Besessenheit, die Balsam für die Seele ist.

Für mich sind es drei Orte, die die brasilianische Küche ausmachen. Die heimische Küche, die Padaria und die Churrascaria.

Wie in jedem anderen Land auch, zeigt sich die Vielfalt der häuslichen Küche auf den großen Familienfesten am besten. Dann wird so reichhaltig aufgetischt, dass man allein schon von allem probierend so satt wird, dass man erst einmal wie gelähmt im Schatten für ein paar Stunden ausharren muss, um dem Magen Zeit und Ruhe für seine Arbeit zu geben. Während einer solchen Siesta schmeckt das eisgekühlte brasilianische Bier dann besonders gut.

Die Basis eines jeden Essens sind 'arroz e feijao' (der Reis und die Bohnen). In meinem ersten Jahr als Austauschschüler in Brasilien, gab es nur ein einziges Mal nicht 'arroz e feijao' zu Hause und zwar als ich für alle Nudeln gekocht habe. Der Reis wird angereichert mit ein wenig gebratenen Zwiebeln und Knoblauch zubereitet. Die für Brasilien typischen dunkelrotbraunen Bohnen, die auch mit Zwiebeln, Speck, viel Knoblauch und manch anderer Finesse wie Oregano lange gekocht werden, sind gar nicht mehr wegzudenken vom Teller. Weit verbreitet ist auch die 'Farofa', die auch den Grundbestandteil eines brasilianischen Gerichts ausmacht. Als Farofa bezeichnen die Brasilianer geröstetes Maniokmehl (Farinha), welches aus der Mandiokpflanze gewonnen wird, die indianischen Ursprungs heute eine wichtige Bedeutung in der brasilianischen Küche erfährt. Das Mandiok-Mehl wird dazu geröstet und mit Butter vermengt, sodass es eine goldgelbe Färbung erhält. Es gibt alle mögliche Variationen, welche Zutaten an die Farofa nun weiter hinzugefügt werden. Meist sind es Oliven, gebratener Speck, Knoblauch (der sowieso fast überall hineinkommt) und Zwiebeln, aber auch Cashewnüsse und gequirlte Eier werden oft hinzugemischt.

Was wäre ein brasilianisches Festessen ohne die 'Feijoada'. Heute ein Nationalgericht aller Brasilianer war es doch ursprünglich (wie bei den Italienern die Pizza oder die Tortellini, die von den Dienern der Herren erfunden worden) ein notdürftiges Essen der Sklaven, zusammengeschustert aus den Reststücken vom Schwein, die die Herren übrig gelassen hatten. Eine Feijoada ist eine fleischige dickflüssige Suppe und sieht auf den ersten Blick nicht gerade appetitlich aus. Von dunkelrötlicher, lilaer bis schwarzer Färbung jagt diese dem Unwissenden eher einen Schreck ein. Auch ich muss zugeben, das ich erst bei meinem dritten Aufenthalt in Brasilien auf den Geschmack gekommen bin – vorher hatte ich immer einen Bogen um sie gemacht. Auch ihre Grundingredienz sind die Bohnen, nur sind es diesmal schwarze Bohnen, die ihr diese dunkle Färbung geben. Viel von der 'Linguica', der brasilianschen Räucherwurst kommt hinein, aber auch die Schweineohren und -füße, Zunge und Trockenfleisch sind traditionell Bestandteil der Feijoada. Und natürlich darf der Knoblauch und die Pfefferschoten nicht fehlen. Mag sie im ersten Augenblick etwas gewöhnungsbedürftig sein, ist die Feijoada eines der wahren Köstlichkeiten der brasilianischen Küche.

'Batata frita', die fritierte Kartoffel, bei uns bekannt unter der französischen Bezeichnung 'Pommes frites', ist genauso eine typische Beilage, nur das sich die brasilianischen Hausfrauen die Arbeit machen die Kartoffeln selbst zu schälen und zu stückeln, und man so noch den frischen Geschmack der Kartoffel genießen kann. Für den deutschen Gaumen völlig unbekannt ist ‚mandioca frita’. Nicht nur das die schon erwähnte Farinha und Farofa aus der Mandiokwurzel gewonnen wird, wird sie auch einfach nur nach dem Schälen in Stücken gekocht und meist eben noch frittiert. Sie schmeckt dann etwas süßer als die Kartoffel, ist ihr aber in Farbe und Geschmack ähnlich.

Unverzichtbar ist das Fleisch. Die Brasilianer lieben Fleisch – ganz besonders ihr Rindfleisch, was bei dem Geschmack allerdings nicht verwunderlich ist. Man kann die Freiheit der Rinder auf den riesigen Weiden mit ihren saftigen Grün förmlich heraus schmecken. Erst in Brasilien habe ich daran Gefallen gefunden Fleisch ohne irgendeine Zutat einfach pur zu essen.                                                                                        Das Fleisch wird dafür in einer Churrascaria zubereitet. 'Churrasco' ist das brasiliansiche Pendant zu Barbecue oder 'Grillen', wie wir Deutschen sagen. Churrasco nimmt jedoch einen weitaus höheren Stellenwert in der brasilianischen Kultur ein. Dies wird allein schon daher deutlich, dass jeder Brasilianer, der etwas auf sich hält, eine Churrascaria zu Hause hat. Eine Churrascaria ist ein aus Ziegeln gemauerter Grill mit Kaminabzug, den man nicht nur im Hof und Garten von Familienhäusern antrifft, sondern auch auf Balkons und Terrassen von Appartments. Große Stücken Fleisch werden dazu auf langen Spießen direkt über dem Feuer gegrillt. Es wird dann nach und nach, Schicht für Schicht abgeschnitten und zwischendurch immer wieder erneut gegrillt. Aber es werden auch kleinere Stücken oder auch Würstchen aufgespießt. Einen geschmacklich wichtigen Unterschied macht wohl auch das sehr grobkörnige Salz mit welchem das Fleisch vorher eingerieben wird.                                                                                        

Letztlich bildet das Churrasco die Basis eines Familienfestes. Man läd Freunde, Verwandte und Nachbarn zu sich ein und ißt, trinkt und tanzt oder schaut sich nebenbei ein Fusballspiel im Fernsehen an. Konnte man so einem Grillerlebnis einmal beiwohnen, kann man sich zum einen nicht mehr vorstellen Vegetarier zu sein, zum anderen wird man sich zu Hause in Deutschland bei jedem Grillfest wehleidig an Brasilien erinnern.

Mittlerweile wird das brasilianische Churrasco auch in Deutschland immer populärer, was sich in der immer mehr steigenden Anzahl von brasilianischen Restaurants bemerkbar macht. In einer typischen brasilianischen Churrascaria bezahlt man einen Grundpreis und kann dann essen so viel man will. Das Buffett ist meist überaus reichlich bestückt und dort kann man sich zunächst mit all den oben genannten Beilagen (und noch vieles mehr) versorgen. Hat man sich dann zu Tisch gesetzt, kommen die Kellner mit ihren großen Spießen und bieten Einem all die verschiedenen Rindfleischarten feil – 18 Grundarten kennt der Brasilianer und eine gute Churrascaria sollte alle im Angebot haben. Die Kellner schneiden dann geschickt dem Gast scheibchenweise Stücken ab und hören nicht auf ihn mit all den verschiedenen Fleischsorten zu belästigen bis er signalisiert, dass er erst einmal genug hat.

Ist man nicht zu Hause und wird von der brasilianischen Gastfreundschaft umgarnt, ist man auf Reisen oder muss man in der Hektik des städtischen Alltags schnell mal etwas essen, kommt man an einer Padaria einfach nicht vorbei. Padaria bedeutet wörtlich übersetzt eigentlich Bäckerei. Jedoch ist eine Padaria in Brasilien viel mehr als das – sie ist prinzipiell auch Bistro und heißt dann ‚Lanchonete’, aber auch Kneipe, Tabakwarenladen, Konditorei, Käse-, Wurstwaren- und Saftladen und noch manches mehr in einem. Eine Padaria ist der Anlaufpunkt für alle Art von Einkäufen, besonders zu später Stunde, wenn andere Geschäfte längst zu sind, oder aber eben morgens um einen frischen Cafe zu trinken und sich ‚pão francês’ (französische Brötchen), die in fast ganz Brasilien einheitliche und einzige Art von Brötchen zu holen. Außerdem gibt es hier meist auch ‚Salgados und Pão de queijo’ zu kaufen, dessen Köstlichkeit süchtig machen. Salgados und Pão de Queijo sind Ausdruck für Brasiliens kulinarischen Einfallsreichtum. Salgados (wörtlich übersetzt eigentlich nur etwas salziges) sind in allen möglichen Formen und Variationen angebotene Teigtaschen – perfekt für den Hunger zwischendurch.

Eine der beliebtesten Teigtaschen ist die 'Coxinha'. Der Form nach wie eine spitze Kegel und von brauner Farbe aussehend, besteht sie aus einer inneren Hühnchenfüllung, die umgeben ist von einer Teigmasse und die am Ende fritiert wird. Dadurch erhält sie ihre bräunliche Färbung.

Pão de Queijo, das ‚Käsebrot’, sind aus Käse, Milch, Ei und Farinha (Maniokmehl) gebackene Bällchen, die je nach Machart von Finger bis zu Faustgröße an Durchmesser erreichen. Die am typischsten vorkommende Form liegt wohl zwischen Golf - und Tennisballgröße. Wer einmal einen frischen noch warmen ‚Pão de queijo’ gekostet hat, der kommt von ihnen auch schon nicht mehr los. Mittlerweile sind sie zu einem brasilianischen Phänomen geworden. An jeder Ecke werden sie angeboten und es gibt nun auch seit ein paar Jahren eine Bistro-Kette, die sich nach den Käsebällchen benannt haben. Salgados und pão de queijo sind das Beste für den kleinen Hunger (die Redundanz ist beabsichtigt), eine höhere Anzahl genügt auch für eine ganze Mahlzeit. Meistens aber ist es der pure Appetit, der mich zu ihnen treibt. Dann trinke ich dazu noch einen ‚Suco’, einen frisch gemixten Fruchtsaft aus dem tausendfachen Angebot von Früchten, worin Brasilien auch Weltmeister ist. Am besten ist da ein 'Suco de Acai' – einer Palmenfrucht, die im Regenwald wächst, von lila-dunkler Färbung ist und so viele Energie-und Nährstoffe besitzt, dass sie auch langsam unter Sportlern und Energiejunkies in Brasilien immer populärer wird. Angereichert mit viel Zucker schmeckt so ein Suco köstlich und der Tag ist gerettet.

So eine fast food Mahlzeit auf brasilianscher Art ist auf jeden Fall besser und gesünder als jede andere. Überhaupt haben es die amerikanischen Fast-Food-Ketten in Brasilien schwer sich durchzusetzen, obwohl sie für ihr Angebot sehr geringe Preise ansetzen. Sie haben einfach keine Chance gegen die so üppige einheimische Vielfalt. Die amerikanische Sandwich-Kultur wurde längst der hiesigen angepasst. Das Sandwich heißt ‚Lanche’ vom englischen Lunch abstammend und wird Lanschi ausgesprochen. Der Cheeseburger wird dann auf einmal zum ‚X-Burger’. X wird im Brasilianischen eben wie ‚Schiess’ ausgesprochen und klingt dem eigentlich gemeinten ‚Cheese’ doch recht ähnlich und da hier niemand Englisch kann, hat sich diese Schreibweise schnell etabliert. So kann man dann auch in einer Padaria oder einem Lanchonete einen X-ovo (mit Ei), X-salada (mit Salat), X-frango (mit Hünchen) oder X-tudo (mit allem) bestellen und wahrlich ist man dann weitaus zufriedener, als wenn man zu McDonald’s gegangen wäre.

Absoluter Höhepunkt meiner kulinarischen Besessenheit in Brasilien fand und finde ich in einem 'Restaurant Mineira'. 'Mineira' bedeutet nichts anderes, als dass die Küche aus Minas Gerais stammt, dem Staat, der sich oberhalb von Rio de Janeiro gelegen über ganz Zentral-Ost-Brasilien erstreckt. Vieles aus dieser Region hat schon Einzug in die Nationalküche erfahren, aber in so einem Restaurant wird man sich dann erst wirklich bewußt, wie vielseitig und wie anders die brasilianische Küche sein kann. Leider fehlen mir die Worte all dies Exotische zu beschreiben, welches man auf so einem paradiesischen Buffet antrifft. Als 'Gringo' sollte man sich auf keinen Fall ein Besuch eines solchen Hauses entgehen lassen. Amen

 

R. D.    2006